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THEMEN

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Jüdische Ossis und die Krisen der Gegenwart

1953 flohen etwa 500 Jüdinnen und Juden aus der DDR. 70 Jahre später, 2023, öffnete die erste Ausgabe des Mini-Festivals „Jüdische Ossis" im Hans Otto Theater einen Raum, der neue Perspektiven auf die gewohnten Debatten über die DDR und Ostdeutschland bot. Durch die Beschäftigung mit jüdischen Remigrant*innen in der DDR und ihren Nachkommen hören wir jene Stimmen, die besonderen Einfluss auf Kultur und Kunst der DDR hatten – und dennoch ihre Außenseiter blieben.

Vor dem Hintergrund der Ereignisse, die die Weltöffentlichkeit derzeit erschüttern, hinterfragte die Neuauflage des Festivals im März 2024 die aktuelle Situation jüdischen Lebens in Deutschland und weltweit. Den Anfang machten der in Kiew geborene Autor Dmitrij Kapitelman und Manja Präkels, die 2017 mit ihrem autobiografischen Roman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ Aufsehen erregte. Beide lasen aus ihren Werken und erörterten anschließend im Gespräch, moderiert von Nora Pester, aktuelle Fragen des Jüdischseins. Außerdem spielte die Band Der singende Tresen (mit Sängerin Manja Präkels). Am Sonntag erzählte Andrej Hermlin, Sohn des Schriftstellers Stephan Hermlin, aus seinem Leben und präsentierte, gemeinsam mit seiner Tochter Rachel, einige Songs seines Swing Dance Orchestras. Nach einer Lesung des Werkes „Unerklärte Kriege gegen Israel“ des amerikanischen Historikers Jeffery Herf gingen Verlegerin Nora Pester und Historiker Matthias Küntzel der Frage nach, ob die gegenwärtig zu beobachtende Unterschätzung der Hamas durch viele gesellschaftliche Gruppen auch als Folge der antisemitischen Traditionen der DDR gegenüber Israel verstanden werden kann. In einem Publikumsgespräch sprachen Erica Zingher (Autorin, Journalistin), Pavlo Arie (Konzeptkünstler, Autor, Regisseur) und Masha The Rich Man (Musikerin) über die Auswirkungen des Ukrainekrieges auf die Post-Ost Community. Schließlich lasen Ensemblemitglieder des Hans Otto Theaters neue Texte über Krieg und Antisemitismus. Zum ausführlichen Programm gelangen Sie über folgenden Link.

Antisemitismus,
Kunst & Kultur

Die Rolle von Kunst und Kultur in der Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Antisemitismus ist weniger positiv als gemeinhin angenommen. In Verklärung der eigenen Geschichte dominiert heute die Erzählung, die bundesrepublikanische Gesellschaft habe spätestens in den 1980er Jahren begonnen, sich intensiv mit der Shoah zu befassen - man denke nur an die Geschichtswerkstätten-Bewegung der 1980er Jahre oder an Weizsäckers Rede von 1985. Doch diese Aufarbeitung war keineswegs so bruchlos, wie es im Rückblick erscheinen mag. So sollte ebenfalls 1985 Rainer Werner Fassbinders antisemitisches Theaterstück Der Müll, die Stadt und der Tod uraufgeführt werden; aus Protest besetzten Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main die Bühne des Schauspiels Frankfurt und verhinderten die Premiere. Im sogenannten Historikerstreit 1986/87 deutete Ernst Nolte die Shoah als Reaktion auf die stalinistischen Verbrechen in der Sowjetunion und stellte ihre Singularität infrage. 1998 hielt der Schriftsteller Martin Walser in der Paulskirche seine berühmt gewordene, offen antisemitische Rede, in der er einen Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus forderte. Zur Kulturgeschichte gehört eben beides: das Anstoßen von Debatten einerseits und Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus und Verdrängung andererseits.

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In Ostdeutschland wird manchmal mit Stolz auf die antifaschistische Literatur- und Filmproduktion der DDR verwiesen, wenn über die Verdrängung der nationalsozialistischen Verbrechen in der westdeutschen Gesellschaft debattiert wird. Tatsächlich begannen in der DDR künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus wesentlich früher als in der BRD - ein Aspekt, der im Vergleich mit der westdeutschen Geschichte zu würdigen ist. Verschwiegen werden darf allerdings auch nicht das Spannungsverhältnis, das zwischen dem Versuch einer antifaschistischen Kulturproduktion, der Zensur und der Ausblendung der Shoah zugunsten des Narrativs vom siegreichen Antifaschismus bestand. Bald schon wurde diese Erzählung mit einem aggressiven Antizionismus verbunden. Die DDR blieb zeit ihres Bestehens antizionistisch, unterstützte die PLO und die Fatah militärisch und unterhielt bis zu ihrem Ende keine diplomatischen Beziehungen zu Israel.Die fortwährende Verdrängung der Shoah und der zum Teil staatlich forcierte  Antizionismus sind kaum Teil des gesellschaftlichen Gedächtnisses über die Rolle von Kunst und Kultur.Das Institut für Neue Soziale Plastik fragt in seinen Projekten immer wieder nach Antisemitismus in Kunst und Kultur. Wie wirkt Antisemitismus in Zeitungen, Theater, Film und  Literatur? Wie steht es um den Umgang mit Antisemitismus in Kunst und (Hoch-)Kultur? Und nicht zuletzt: Wie kann eine  antisemitismuskritische künstlerische Praxis aussehen?Das Institut bietet zu diesen Themen Fortbildungen und Workshops an. Wenn Sie sich einen ersten Eindruck von unserer Arbeit in diesem Themenfeld verschaffen wollen, finden Sie unter Publikationen die Comicserie Chawerim, und die Broschüre Im Nacken (mit Beiträgen von Julya Rabinowich, Lena Gorelik, Max Czollek, Rebecca Ajnwojner und anderen. Im Verlag Hentrich und Hentrich erschien außerdem Stella Leders Sammelband Über jeden Verdacht erhaben? Antisemitismus in Kunst und Kultur, der aus der Arbeit des Vereins hervorgegangen ist.

Jüdische Ossis

1953 flohen etwa 500 Jüdinnen und Juden aus der DDR. 70 Jahre später ist diese Geschichte so gut wie vergessen. Gab es eine jüdische Erfahrung in der DDR – und gibt es entsprechend so etwas wie eine jüdische Erinnerung an sie? In der Beschäftigung mit jüdischen Remigrant:innen in der DDR und ihren Nachkommen treffen wir auf die Positionen derjenigen DDR-Bürger:innen, die besonderen Einfluss auf Kultur und Kunst der DDR hatten - und dennoch ihre Außenseiter blieben. Gleichzeitig ist die Geschichte der jüdischen Remigrant:innen nur das erste Kapitel der Geschichte der Juden in der DDR: Die zweite Generation ging oft einen ganz anderen Weg. Einige von ihnen verließen die DDR ab Mitte der 1970er Jahre, andere blieben und stellten - anders als ihre Eltern - ab den 1980er Jahren die Frage nach jüdischer Identität neu. Schließlich stellt die Zeit der „Wende“ aus jüdischer Perspektive eine mehrfache und ambivalente Zäsur dar. Mit dem Beitritt der DDR zur BRD war einerseits eine Eruption rechtsextremer und antisemitischer Gewalt verbunden.  Andererseits folgte ihr die Einwanderung von fast 200.000 Jüdinnen und Juden aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, die die um 1989/90 auf wenige Zehntausend geschrumpfte jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik neu belebte und sie nachhaltig veränderte. Am Schluss bleibt die Frage: Gibt es eigentlich jüdische Ossis?

Jüdische Ossis ist eine Festivalreihe des Instituts für Neue Soziale Plastik. Die erste Ausgabe fand in Kooperation mit dem Hans Otto Theater  Potsdam statt. Sie wurde kuratiert von Stella Leder.  Das Programm der ersten Ausgabe finden Sie hier.

Zionismus &
jüdische Selbstbehauptung

Das Institut für Neue Soziale Plastik bietet Workshops und Fortbildungen zu Erinnerungskultur, jüdischem Leben heute und / oder Antisemitismus für Kulturinstitutionen sowie antisemitismuskritische Begleitungen künstlerischer Produktionsprozesse an. Aufgrund unserer Erfahrung und Vernetzung im Themenfeld erstellen wir hierzu außerdem Handlungsempfehlungen für NGOs und Politik.

Unsere Angebote und Kooperationen werden gemeinsam von Künstler:innen und Historiker:innen / politischen Bildner:innen konzipiert und durchgeführt. Insbesondere bei  der Begleitung von Produktionsprozessen ist dieser interdisziplinäre Ansatz unabdingbar. Wir arbeiten mit einem breiten Netzwerk jüdischer / antisemitismuskritischer Künstler:innen zusammen und vermitteln gerne Kolleg:innen, wenn wir selbst nicht vor Ort sein können und / oder sich in unserem  Team niemand aus der entsprechenden künstlerischen Sparte befindet..
 

Bitte sprechen Sie uns für weitere Informationen und konkrete Angebote einfach an!

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